Foto: Jens Trenkler dpa/lsn
Hartz IV auf der Bühne
(Görlitz/dpa) - Zwei arbeitslose Eheleute wagen auf der Bühne des Görlitzer Theaters “Apollo” während der Probe des Stückes “Hartzreise - zieht euch warm an” den Weg zum Arbeitsberater der Agentur für Arbeit (Probenfoto vom 11.01.2007). Die Szene aus dem Görlitzer Theaterprojekt gibt wieder, was Arbeitslose so oder so ähnlich im wahren Leben erlebt haben. 16 Hartz-IV-Empfänger haben an dem Stück mitgearbeitet, ließen nicht nur Emotionen, Episoden, Erfahrungen mit Behörden und Arbeitgebern einfließen, sondern spielen auch selbst auf der Bühne. Am Freitag hat die “Hartzreise” in dem sächsischen Theater Premiere.
Arbeitslose machen Theater: Das Görlitzer Projekt “Hartzreise - zieht euch warm an” gibt wieder, was Arbeitslose so oder so ähnlich im wahren Leben erlebt haben.
Görlitz - Herr Goldmann ist ein aalglatter Unternehmer und sucht billige Arbeitskräfte. Die Arbeitsagentur schickt ihm Herrn Hausmann, einen Hartz-IV-Empfänger. Fünf Tage beschäftigt ihn Goldmann auf Probe, lässt ihn einen Schuppen abreißen. Doch Hausmann bekommt die in Aussicht gestellte Festanstellung nicht. 16 Hartz-IV-Empfänger haben an dem Stück mitgearbeitet, ließen nicht nur Emotionen, Episoden, Erfahrungen mit Behörden und Arbeitgebern einfließen, sondern spielen auch selbst auf der Bühne. Am Freitag hat die “Hartzreise” in dem sächsischen Theater Premiere.
Bundesweit ist es nicht das erste Mal, dass Arbeitslose Theater machen. In Oldenburg etwa erarbeiteten 60 erwerbslose Jugendliche das Stück “Mein eigenes Ding”, das im September 2006 Premiere hatte. Am Landestheater Schwaben in Memmingen haben 15 Jugendliche ohne Job an dem Projekt “arbeitsLos” mitgewirkt. Das Stück kommt an diesem Freitag erstmals auf die Bühne. Auslöser für das Projekt in Görlitz war im Februar 2005 eine Mahnwache von Hartz-IV-Empfängern, die zum Opernball vor dem Theater lautstark auf ihre Situation aufmerksam machten. Intendant Michael Wieler lud Betroffene zu sich ein und traf sich fortan wöchentlich mit ihnen. Aus dem, was er in etwa anderthalb Jahren über ihre Schicksale und Erlebnisse erfuhr, verfasste er zwei Szenen. Er überschrieb sie mit “Das Lebens-Los der A-R-GE”.
Auswahl der Theatergruppe war schwierig
Bei der Arbeitsagentur in Görlitz stieß Wieler auf offene Ohren, ein
Theaterprojekt mit Empfängern des Arbeitslosengeldes II zu unterstützen.
Die Auswahl der 16 Ein-Euro-Jobber aber brauchte Zeit. “Es war nicht
einfach, die Gruppe zusammenzustellen”, erinnert sich der freie
Theaterpädagoge Ulrich Krause. Er leitete die künstlerische Arbeit an
der “Hartzreise”. “Viele Bewerber wollten ausdrücklich nicht auf der
Bühne stehen.”
Mitte Juni 2006 war die Gruppe komplett. Dazu gehören Leute mit sehr
unterschiedlichen Lebensläufen und Charakteren, im Alter zwischen 24 und
51 Jahren. “Ein fast repräsentativer Querschnitt durch die Görlitzer
Bevölkerung”, urteilt Krause. Die Teilnehmer nahmen die von Intendant
Wieler vorgelegten Szenen zwar als Diskussionsgrundlage, doch für die
endgültige Bühnenfassung wurde kaum etwas verwendet. Vielmehr schrieben
sie eigene Geschichten über Armut, Resignation, Existenzangst,
Pendlerdasein oder Einsamkeit.
Sarkasmus statt Selbstmitleid
Ein loses Sammelsurium von etwa 50 Szenen kam auf diese Weise zusammen.
“17 davon wurden letztlich für das Stück ausgewählt”, erzählt Krause.
Peter Hanslik als Regisseur verband die Episoden dramaturgisch
miteinander. In manchen Szenen wird der Frust der Arbeitslosen
regelrecht auf die Spitze getrieben, etwa wenn eine Mitarbeiterin der
Arbeitsagentur - an einem übergroßen Schreibtisch sitzend - im wahrsten
Sinne des Wortes von oben herab mit einem Leistungsempfänger redet. Es
habe durchaus die Sorge gegeben, dass es ein Jammerstück werde, räumt
Hanslik ein. Allerdings: “Die Szenen sind erstaunlich wenig
selbstmitleidig, zeugen von schwarzem Humor und Sarkasmus.”
Fremd, schüchtern und distanziert standen sich die Darsteller anfangs
gegenüber. Krause brachte sie soweit, dass sie aus sich herausgehen. “Im
Spiel ist eher Lust als Frust zu spüren”, sagt Hanslik. “Wir sind ein
Team geworden”, verrät Henriette von Rädern. Bis 1990 arbeitete sie als
Produktionsleiterin im Görlitzer Leuchtenwerk. Seitdem hatte die
51-Jährige zwar mehrfach eine Beschäftigung auf Probe, aber keinen
festen Job mehr. Längst fühlt sie sich auf dem Abstellgleis. “Hartz IV
ist das Letzte”, urteilt die studierte Frau. Die Arbeit auf der Bühne
hat ihr neuen Auftrieb gegeben.
Premiere schon ausverkauft
Die Premiere der “Hartzreise” ist bereits ausverkauft. Acht Mal wird das Stück danach im “Apollo”, der kleinen Spielstätte des Görlitzer Theaters, gespielt. Ende Februar endet das geförderte Projekt. Auch ohne Ein-Euro-Job wird Henriette von Rädern der Bühne treu bleiben. Sie hat sich der Görlitzer Theatergruppe von Peter Hanslik angeschlossen, zusammen mit fünf anderen Hartz-IV-Empfängern. (Von Anett Böttger, dpa)