25. Februar 2007, 08:00

Reaktion SZ

Sächsische Zeitung
Montag, 22. Januar 2007

Ein Licht am Ende des Tunnels

Eine Arbeitslose und eine Arbeitsvermittlerin haben sich im Theater das Stück „Hartzreise“ angesehen – und darin vieles aus dem eigenen Alltag entdeckt.

Mit welchen Eindrücken sind Sie aus der Theatervorstellung gegangen?

Müller: Ich habe das Stück von der Entstehung bis zur Premiere verfolgt und war begeistert, vor allem von der Entwicklung, die die Mitwirkenden in den sechs Monaten gemacht haben. Einige wollten am Anfang nur hinter die Bühne, sich um Beleuchtung und Technik kümmern. Schrittweise wurden aus ihnen selbstbewusste, engagierte Menschen. Die Angst, die Scheu ist verschwunden. Diese Selbstsicherheit ist für ihren weiteren Werdegang enorm wichtig. Denn: Die Qualifikation ist das eine, aber die muss man vermitteln können. Eine zweite Chance für den ersten Eindruck gibt es nicht.

Lauch: Ich habe im Stück vieles erkannt, das auch in meinem eigenen Leben eine Rolle gespielt hat: Alkohol, Scheidung, der Sohn, der in der Ausbildung bummelt.

Gab es eine Szene, die Sie besonders berührt hat?

Lauch: Der Todesfall. Der Verstorbene ist noch gar nicht unter der Erde und alle möglichen Leute kommen, um die Hand aufzuhalten, Rechnungen zu begleichen. Das zeigt, wie kalt unsere Gesellschaft geworden ist.

Müller: Ich hätte mir gewünscht, dass aus der tragischen Situation eine Perspektive aufgezeigt wird, ein Licht am Ende des Tunnels. Vielleicht schaffen wir das ja mit einer Fortsetzung.

Gibt es dafür konkrete Pläne?

Müller: Mit dem Regisseur Peter Hanslik habe ich gesprochen und offene Türen eingerannt. Aber wir müssen zunächst abwarten, wie das Stück ankommt.

Lauch: Eigentlich müssten alle Veranstaltungen ausverkauft sein, bei der hohen Zahl an Arbeitslosen in Görlitz. Ich frage mich, wo die alle bleiben. Auch bei unserer Montagsdemo werden wir immer weniger.

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Lauch: Ich denke, dass die Leute phlegmatisch geworden sind. Mir hat schon mancher versprochen, zur Montagsdemo zu kommen. Wenn ich am nächsten Tag frage, wo sie denn waren, sagen sie, ach, ich hatte mich hingelegt und die Zeit verschlafen. Aber wenn mir etwas wichtig ist, dann verschlafe ich es nicht.

Kann das Stück neuen Antrieb geben? Hat es Ihnen Mut gemacht?

Lauch: Ich verdiene momentan als Reinigungskraft ein bisschen was zu meinem Arbeitslosengeld dazu. Aber in meinen richtigen Beruf, Melkerin, zurückkehren, das wird wohl nichts mehr. Und rübergehen in den Westen, noch einmal neu anfangen? Ich weiß nicht. Meine Heimat ist hier.

Es gibt eine Szene, wo einem Mann ein Ein-Euro-Job angeboten wird, bei dem er mit rosa Fähnchen Hundehaufen auf der Berliner Straße markieren soll.

Lauch: An der Stelle habe ich mich gefragt, ab wann eine Arbeit zumutbar ist. Ich mache auch etwas, was mich nicht gerade berauscht, nämlich für andere Leute putzen. Aber so komme ich raus und höre mich um, wo’s vielleicht noch was gibt. Das ist mir auf alle Fälle lieber als zu Hause zu sitzen.

Der Mann in dem Stück findet das Angebot nicht zumutbar. Er kippt mit Herzinfarkt vom Stuhl. Der Arbeitsvermittler kommentiert lapidar: Wieder einer aus der Statistik gefallen.

Lauch: Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Berater gar keine Zeit für einen haben. Alles geht schnell, schnell, schnell. Ich fühle mich dann einfach unverstanden.

Müller: Ich habe an mich den Anspruch, dass die Leute ruhig und entschlossen aus einer Beratung gehen. Aber unser Job ist es, in Arbeit zu vermitteln. Wir können keine stundenlangen Gespräche führen, sind keine Sozialberater und Psychologen. Dazu gibt es Beratungsstellen, an die wir verweisen.

An einer Stelle im Stück heißt es, die Ämter setzen nur um, was die Politik vorgibt. Wie schwer ist es, hier vor Ort Protest gegen die Politik zu formulieren?

Lauch: Uns ist schon klar, dass wir zu wenig wahrgenommen werden. Deshalb werden wir auch weiterhin an Großdemos, etwa in Berlin, teilnehmen und uns mit anderen Gruppen austauschen.

Und wie schwer ist es zu vermitteln, dass das Amt die Gesetze nicht macht, sondern umsetzt?

Müller: Natürlich kommen Vorwürfe. Aber: Schimpfen können wir von morgens bis abends. Nur bringt uns das nicht weiter. Die Politik setzt einen Rahmen, und wir versuchen, mit unseren Mitteln es sozial erträglich zu machen. In den Beratungsgesprächen tun sich tagtäglich Schicksale auf. Bei dem Zeitdruck, unter dem wir stehen, ist es nicht immer leicht, sich in den einzelnen einzufühlen. Aber wir wollen ja eben eine Perspektive aufzeigen, da müssen wir auch manchmal Sozialarbeit leisten.

Lauch: Es gibt schwarze Schafe unter den Arbeitslosen, die früh mit Alkoholfahne aufs Amt kommen. Aber wir haben das Gefühl, dass uns generell Schmarotzerei unterstellt wird.

Müller: Man kann heute sehr schnell in die Situation des Hartz-IV-Empfangs geraten. Das verkennen viele. Die Schublade wird schnell aufgemacht: Der ist Hartz-IV, einer, der nicht will und nicht kann.

Gab es bei Ihnen, Frau Lauch, schon Kontrollen, ob Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen?

Lauch: Nein, ich frage mich aber, wie ich mich dann verhalten sollte. Muss ich Kontrolleure reinlassen? Eigentlich ist meine Wohnung doch Privatsphäre. Oder werde ich gleich als Betrügerin abgestempelt, wenn ich mich weigere? Eine Bekannte von mir hatte mal falsche Angaben gemacht, was auch aufgeflogen ist. Natürlich hat sie dann geschimpft wie ein Rohrspatz. Aber letztlich war es eben Leistungsmissbrauch.

Müller: Und dem müssen wir nachgehen. Wir sind eine Solidargemeinschaft. Missbrauch müssen wir im Sinne aller ahnden.

Missbrauch gibt es auch auf der anderen Seite. In dem Stück gibt es einen Unternehmer, der sich ständig neue Arbeitskräfte auf Probe vom Amt vermitteln lässt, aber nie das Versprechen einer Festeinstellung einlöst.

Müller: Es gab oder gibt sicherlich solche Fälle, aber auch diesem Missbrauch begegnen wir. Wir haben ein Arbeitgeberbüro. Mit den dortigen Mitarbeitern verständigen wir uns, wie oft Firmen Trainingsmaßnahmen initiiert haben und wie oft diese zum Erfolg geführt haben. Sicherlich, gerade in der Dienstleistungs- und der Baubranche wurden die Regelungen in der Vergangenheit häufig ausgenutzt. Wir müssen letztlich aber die vorhandenen Chancen nutzen, den Arbeitslosen in Arbeit zu vermitteln. Da nützt es uns nichts, jeden Arbeitgeber zu verteufeln, der mal jemanden testen will. Das ist sein gutes Recht.

Gespräch: Varinia Bernau

Das Theaterstück „Hartzreise – Zieht euch warm an“ läuft noch bis Ende Februar im Apollo. Im Anschluss an die Aufführung am 12. Februar gibt es eine Diskussionsrunde, zu der Arge-Chef Eberhard Nagel, Oberbürgermeister Joachim Paulick und Theaterintendant Michael Wieler erwartet werden.

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